Die 4-teilige Arbeit besteht aus einer Zeichnung, einer Bodenarbeit, einem Video und einem Text.
Kunsthalle Düsseldorf, 2005

600 x 50 cm, Bleistift auf Papier.
Die Zeichnung zeigt eine 1:1 Darstellung einer der Lüftungsschlitze an der Decke des Raumes samt Staubspuren.

Bodenarbeit: ca. 20 m2, Tintenstrahldruck auf Forex.
Ein zentralperspektivischer Blick in die Dachkonstruktion des Raumes wurde am Computer gezeichnet, auf 50 x 50 cm Forexplatten gedruckt und zu einem Bodenornament zusammengefügt.

Video: 26 Minuten.
Das Video zeigt eine langsame Kamerafahrt entlang einer der Schattenfugen zwischen Fußboden und Wand.

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Die Textarbeit wurde als Flugblatt vervielfältigt und in einer Plastikablage an der Wand
zum Mitnehmen bereit gestellt.

LEBENSFÜHRER VI(A).1(d): Auftragsarbeiten (Text)

Einführung

Dieser Text ist ein Teil der Arbeit Lebensführer VI(A).1: Auftragsarbeiten.

Der Lebensführer, obwohl mit bestimmten konzeptuellen und inhaltlichen Aussagen verknüpft, ist vor allem eine künstlerische Strategie, die von meinen persönlichen künstlerischen Bedürfnissen bestimmt wird. Der Lebensführer bietet mir ein Gefühl von Sicherheit – oder eher eine Illusion von Sicherheit – innerhalb der ansonsten fast unerträglichen Beliebigkeit und Selbstgefälligkeit einer künstlerischen Praxis, die wiederum innerhalb der ansonsten fast unerträglichen Sinnlosigkeit des Lebens stattfindet.

Kunstmachen, das Kapitel VI des Lebensführers, untersucht technische, inhaltliche und strategische Aspekte im Prozeß des Kunstmachens. Es behandelt Themen, die sich weder ausschließlich auf Fragen meiner persönlichen Erfahrung des Künstlerseins (behandelt in Kapitel IV: Autobiographie), noch ausschließlich auf Fragen der Ästhetik (behandelt in Kapitel V: Schönheit) eingrenzen lassen.

Auftragsarbeiten sind Arbeiten, die aus einem Auftrag heraus entstehen, d.h. ihre Beweggründe kommen nicht vom Künstler selbst, sondern von außen. Oft passen sich Auftragsarbeiten einem spezifischen Ausstellungsort oder einer Ausstellungssituation an („Ausstellung“ meint ganz allgemein, Arbeiten einem Betrachter zugänglich zu machen). Der Gegenpol zu Auftragsarbeiten sind Arbeiten, die der Künstler im Atelier aus einem Gefühl der inneren Notwendigkeit heraus produziert und die für Ausstellungen in White Cubes gedacht sind (“White Cube” beschreibt einen Raum, der unverkennbar in der Kunstwelt plaziert ist und deren etablierten Ausstellungspraxen folgt).

Titel im Lebensführer sind immer strategisch, da der Titel benutzt wird, um eine Behauptung über die Arbeit zu machen, worauf die Arbeit ihrerseits reagieren kann.

Auftragsarbeiten

Ich fing an, mir Gedanken über Auftragsarbeiten zu machen als Reaktion auf das, was im letzten Jahr in meiner künstlerischen Laufbahn stattfand bzw. nicht stattfand: Ich hatte keine Möglichkeit, meine Arbeit zu zeigen, da mir kein Ausstellungsraum zu Verfügung gestellt wurde. Stattdessen wurde ich eingeladen, eine Abendveranstaltung für eine Künstlerbar, eine Abendveranstaltung in einem Galerieraum innerhalb einer schon installierten Ausstellung sowie ein Kunst am Bau Projekt für eine Schule zu konzipieren. Es wird oft von Künstlern erwartet, daß wir solche Aufgaben erfüllen. Obwohl unsere Arbeit immer nur von unserer inneren Notwendigkeit her angetrieben sein sollte, finden wir uns dennoch oft in der Situation wieder, Arbeiten wegen äußeren Anforderungen produzieren zu müssen. Dies bringt uns in die widersprüchliche Position, eine Arbeit für einen bestimmten Zweck zu machen, obwohl wir wissen, daß die Kunst, sobald sie zweckgebunden ist, keine Kunst mehr ist. Gegen diese Behauptung kann sicherlich argumentiert werden, aber nur, indem ein historischer Kontext einbezogen wird, in dem die Kunst die Aufgabe der Repräsentation innehatte. Der Kunstinhalt eines historischen Kunstwerks ist aber immer von seinem Zweckinhalt klar zu unterscheiden: Es ist nie die Erkenntnis darüber, wie schön die repräsentativen oder politischen Bedürfnisse des Auftraggebers erfüllt wurden, die uns in atemberaubende Bewunderung versetzt; und die Künstler haben in ihrer Arbeit die geforderten funktionellen Zwecke nicht aus konzeptueller Überzeugung erfüllt, sondern weil das die Bedingung des Künstlerseins war.

Da ich das alles weiß, befand ich mich anfänglich in dem Dilemma, ob ich die drei Aufträge überhaupt annehmen sollte, ich konnte mich aber schließlich nicht dazu durchringen, sie abzulehnen. Vielleicht hatte ich den Traum, ich könnte auch Arbeiten machen, die sich vom Kontext abheben und deren aufgezwungene Funktionalität transzendieren. Oder vielleicht wollte ich die Auszeit von der endlosen Mühsal der Selbstmotivation genießen, die Auftragsarbeiten mit sich bringen. Oder es war lediglich professioneller Realismus, da diese doch meine einzigen Angebote waren. Außerdem tendiere ich, wenn ich mit solchen Aufträgen konfrontiert werde, dazu, jegliches Gespür für meine Entscheidungsfreiheit zu verlieren und in einen Zustand der passiven Akzeptanz meines unabwendbaren Schicksals zu geraten, da ich meine, daß etwas, für das ich eine so dermaßen tiefe Abneigung verspüre und was meinen natürlichen Neigungen so widerspricht, mir etwas Lebenswichtiges beizubringen haben muß. Ich denke, es handelt sich hier um eine Kombination aus meinem kulturell unvermeidbaren religiösen Fatalismus, der mir sagt, daß ich das bekomme, was ich verdiene, und daß nichts ohne Grund passiert, und meinem künstlerischen Aberglauben, der sagt, daß die Einladung, die ich ablehne, meine letzte sein wird.

Ich nahm die Aufträge an. Aber bevor ich über konkrete Arbeiten nachzudenken begann, wollte ich eine Strategie entwickeln, so auf diese Aufträge zu reagieren, daß meine richtigen Arbeiten – die Arbeiten, die ich im Atelier aus meiner inneren Notwendigkeit heraus produziere und die ich in einem White Cube ausstellen würde – so wenig wie möglich gestört würden. Anfangs hoffte ich, ich könnte einfach Arbeiten aus dem Atelier benutzen, als bewußte Mißachtung der Tatsache, daß die Arbeiten nun in auftragsbezogenen Ausstellungssituationen ausgestellt würden. Damit hätte ich eine Unterbrechung meines Arbeitsflusses, um spezifisch etwas für den Auftrag zu produzieren, vermeiden können und hätte gleichzeitig eine Aussage darüber gemacht, ob es jemals zu rechtfertigen ist, unsere Arbeiten äußeren Anforderungen anzupassen. Mein Bedürfnis nach einer bewußten Mißachtung aber zeigte, daß ich das Gefühl hatte, ich müßte meine Mißachtung als gezielte konzeptuelle Entscheidung rechtfertigen: Das zeigte, daß ich in der Tat glaubte, ich dürfte die Besonderheiten dieser Ausstellungssituationen doch nicht ignorieren. Zwar kann behauptet werden, es gebe keine Ausstellungssituation, die ignoriert werden darf, da sogar ein angeblich neutraler White Cube fest in der Kunstwelt und dem dazu gehörenden sozial-politischen Kontext plaziert ist; im White Cube ist es jedoch zur etablierten Konvention geworden, daß wir sowohl den physikalischen Raum als auch den Kontext ignorieren dürfen. Wenn im White Cube dennoch eine Arbeit auf dem Raum reagiert oder sich mit dem Kontext der Kunstwelt auseinandersetzt, wird dies nicht als eine aus einer Notwendigkeit geborene Strategie begriffen, sondern als frei gewählte künstlerische Entscheidung. Diese Konvention aber galt nicht für die Ausstellungssituationen, für die ich die Auftragsarbeiten produzieren sollte; also müßte ich auf die Ausstellungssituationen reagieren. Ich hätte zwar in Form einer bewußten Mißachtung reagieren können, es wäre aber eine gefährliche Strategie gewesen: Es ist mir sehr wichtig, daß meine Arbeiten sinnvoll überlegt erscheinen, und das Risiko wäre zu groß gewesen, daß meine konzeptuell begründete bewußte Mißachtung für eine mißachtende Mißachtung hätte gehalten werden können.

Demzufolge machte ich Arbeiten, die auf die Ausstellungssituationen reagierten, und obwohl ich mit den Arbeiten zufrieden war, hatte ich zu ihnen eine andere Beziehung als zu meinen restlichen Arbeiten. Ich hatte Schwierigkeiten damit, sie mir gegenüber zu rechtfertigen, und daß ich mich überhaupt mit ihnen identifizierte, empfand ich als eine Verteidigungshaltung. Ich konnte mich nicht ganz davon überzeugen, sie wären nicht völlig sinnlos und beliebig: Obwohl ich sie wirklich mochte und sie mich wirklich interessierten, konnte ich mir nicht vorstellen, daß meine innere Notwendigkeit überhaupt eine Rolle hätte spielen können, indem ich auf Ausstellungssituationen reagierte, nur weil jemand mich damit beauftragt hatte.

Ich konnte nicht aufhören, über diese Arbeiten und die Fragen, die sie hervorriefen, nachzudenken. Diese Gedanken wurde ich nicht einmal los, als ich das Angebot bekam, in der Kunsthalle auszustellen, obwohl ich dadurch endlich die Möglichkeit hatte, eine White Cube Ausstellung zu machen, bei der ich Arbeiten aus dem Atelier hätte ausstellen können. Es schien mir unentbehrlich für meine künstlerische Integrität, den genauen Grund meiner hartnäckigen Ambivalenz den Auftragsarbeiten gegenüber zuerst zu verstehen, bevor ich zugunsten meiner „richtigen“ Arbeiten den Auftragsarbeiten den Rücken zudrehen konnte. Ich war mißtrauisch geworden, wie ich mich selbst als Künstler sah, vor allem, in wie weit mein Selbstbild davon abhängig geworden war, wie ich von der Außenwelt gesehen wurde. Vor 2004 hatte ich eine relativ lange Glückssträhne, da ich ausreichend Ausstellungsmöglichkeiten in White Cubes hatte, aber im letzten Jahr, als ich das Gefühl hatte, daß meine „richtigen“ Arbeiten ungeachtet blieben, war ich wirklich verblüfft, wie verloren ich mich fühlte. Ich war immer stolz gewesen zu wissen, daß ich, egal wie schwer es mir manchmal fällt, allein dafür die Verantwortung trage, mich als Künstler und als Teilnehmer innerhalb eines Kunstdiskurses selbst zu behaupten. Doch das Ausmaß meiner Unsicherheit im letzten Jahr zwang mich wahrzunehmen, wie weit ich mich hatte verführen lassen, diese Verantwortung an andere abzugeben.

Das Problem, eine selbstdefinierte künstlerische Identität zu schaffen und aufrecht zu erhalten, ist natürlich ein breites Thema; relevant hier ist die besondere Art, in der Auftragsarbeiten unsere Bemühungen um unsere künstlerische Identität gefährden können. Wenn wir beauftragt werden, werden wir ausgesucht wegen unseres besonderen professionellen Images als Künstler, anders gesagt, wegen bestimmter Erwartungen, wie wir auf den Auftrag reagieren würden. Da Auftragsarbeit immer ein Bilanzakt zwischen unseren Bedürfnissen und denen des Auftrag-gebers ist, bedarf es einer gezielt bewußten Bemühung, unserer inneren Notwendigkeit treu zu bleiben. Mit dieser Situation konfrontiert wird es verführerisch, diese Bemühung aufzugeben und einfach dem zu folgen, was von uns erwartet wird, insbesondere da wir sehr bald erkennen, daß das professionelle Überleben nichts weiter verlangt. Dies kann einen Prozeß auslösen, der zu einem kompletten Verlust unseres Kontakts zu unserer selbstdefinierten Identität führt und zu einem Verlust der Arbeiten führt, die wir sonst zu machen von unserer inneren Notwendigkeit getrieben worden wären. Am Ende bleiben wir hilflos zurück und können nichts anderes tun, als weiter Erwartungen zu folgen; inhaltsleer spielen wir unser professionelles Image. Es ist wichtig, hier den Unterschied zu einer Ausstellung im White Cube zu betonen: Obwohl wir natürlich auch dort wegen unseres professionellen Images und den damit verbundenen Erwartungen eingeladen werden, werden wir in unserem Widerstand gegen diese Erwartungen tatsächlich gestärkt, weil zu den Konventionen des White Cubes die Behauptung künstlerischer Autonomie gehört.

Ich beschloß, der beste Weg, all meine Fragen über Auftragsarbeiten aufzuklären, wäre in die Offensive zu gehen, indem ich die Umstände, die meine Fragen ursprünglich hervorgerufen hatten, absichtlich wieder herstellen würde. Also gab ich mir den Auftrag, eine Arbeit für die Kunsthalle zu machen. Ich wollte herausfinden, ob es möglich sein könnte, in Reaktion auf einen Auftrag eine innerlich notwendige Arbeit zu machen, eine Arbeit, bei der ich das Gefühl hätte, daß sie zu meinen sonstigen Arbeiten gehört. Obwohl es vielleicht paradox erscheinen kann, diese Fragen innerhalb einer traditionellen Ausstellung in einem White Cube untersuchen zu wollen, ist es eigentlich nur hier möglich. Wenn dies ein richtiger Auftrag und kein selbst gewählter wäre, und wenn der Ausstellungskontext kein White Cube wäre, müßte ich auf die Ausstellungssituation reagieren: Es ist mir wichtig, das meine Arbeiten sinnvoll überlegt erscheinen, und um sinnvoll überlegt zu sein, müßten die Arbeiten darauf reagieren. In einem White Cube aber gibt es keine konzeptuelle Notwendigkeit zu reagieren, also hängt der Erfolg der Arbeit nicht davon ab, wie erfolgreich sie auf den Auftrag reagiert, sondern wie erfolgreich sie als Vehikel benutzt werden kann, um meine Fragen zu beantworten.

Also ging ich durch die Kunsthalle und begab ich mich absichtlich in einen Zustand, der mir sonst wie unerwünscht aufgedrängt vorkommt. Ich wartete gezielt auf die etwas lächerlichen Momente, die immer ein Teil einer Auftragssituation zu sein scheinen – die Momente, in denen ich zum Beispiel die Staubspuren aus einem Lüftungsschlitz sehe und denke: „Das ist ja hübsch!“ Ich erlebte nochmals die Gefühle, die ich im letzten Jahr hatte. Ich fühlte wieder die sich anbahnende Verzweiflung, die entsteht, wenn ich durch einen Raum (ein Gebäude, eine Stadt) gehe oder über eine Situation nachdenke und dabei überlegen muß, auf was ich reagieren oder wo ich eine Arbeit plazieren könnte. Ich fühlte wieder die Tragödie eines aufgedrängten Vorgangs, der mit meinen erträumten Motiven, Künstler zu sein, so wenig zu tun hat. Egal wie naiv es scheinen mag, glaube ich tatsächlich, daß die Kunst etwas einzigartig Wichtiges ist und daß sie in ihrem Wesen schön ist und daß sie eine wahre Quelle der transzendentalen Glückseligkeit ist. Und obwohl es immer ein Kampf sein mag, an diesem Glauben festzuhalten, bedeuten Auftragsarbeiten eine besonders bittere und gnadenlose Konfrontation mit der Realität des Künstlers als Dienstleister.

Natürlich weiß ich, daß mein Glaube nichts weiter als reaktionäre Romantik ist. Ich werde bestimmt irgendwann zugeben, daß es doch nichts Tragisches ist, ein Künstler zu sein, der einen Job zu tun hat, und daß es doch keine Schande ist, wenn man sich lediglich bemüht, die Welt etwas hübscher zu machen. Ich werde bestimmt auch entdecken, daß Auftragsarbeiten letztendlich spannungsreicher sind als meine sonstigen Arbeiten, weil sie nicht allein von meiner inneren Notwendigkeit getrieben sind und sie mich deshalb mit Fragen konfrontieren, die ich alleine nie werde stellen können. Oder vielleicht ist die ersehnte Transzendenz genau hier zu finden: Ich werde auf die Romantik meines Glaubens willentlich verzichten und dadurch meine menschliche Begrenztheit bejahend umarmen, und in diesem Augenblick werde ich wahrscheinlich eine Freude fühlen, die nichts mit einer therapeutischen Selbstakzeptanz zu tun hat, sondern ein authentisches transzendentales Ereignis ist.